Wunderbare Zeiten

Alles gar nicht so schlimm, oder? Frauenärztin und Autorin Sheila de Liz erklärt, was Frauen in der  Menopause genau erwartet, wie sie sich am besten  darauf einstellen und warum diese Zeit auch positive  Nebenwirkungen hat. INTERVIEW Iris Soltau

Sheila de Liz, Frauenärztin und Gynäkologin

Dr. de Liz, Sie sind dafür bekannt, dass Sie gerne mit Mythen rund um den weiblichen Körper aufräumen. Gibt es auch Legenden zum Thema Wechseljahre, die totaler Quatsch sind? Oh, da gibt es mehrere. Ein Mythos ist sicherlich, dass Frauen nach den Wechseljahren grau und unsichtbar werden. Dass sie sexuell nicht mehr aktiv sind. Völlig falsch. Genau wie die immer noch stark verbreitete Vorstellung, dass Frauen durch die Wechseljahre einfach durch müssen und Beschwerden ohne ärztliche Hilfe aushalten sollten. Das ist regelrecht gefährlich, weil Frauen so in Hormon-Mangelsituationen geraten können, die weitere Prozesse in Gang setzen.

Was könnte das zum Beispiel sein? Die Knochen werden dünner und brüchiger. Die Schleimhaut in der Harnblase baut sich ab, das bedeutet, dass man viel anfälliger für Harnwegsinfekte und Inkontinenz ist. Auch die vaginale Schleimhaut baut sich ab, das macht Geschlechtsverkehr sehr schmerzhaft bis unmöglich. Das muss man behandeln. Daher ist eine enge Zusammenarbeit mit dem Frauenarzt in der Lebensmitte wichtig.

Eine gesunde Lebensweise alleine reicht da nicht? Natürlich sind Sport und gute Ernährung wichtige Säulen für ein gesundes Älterwerden. Aber einen Hormonmangel kann man auf diese Weise nicht beheben, darum ersetzt selbst ein gesunder Lifestyle keine Therapie.

Allerdings sind Hormontherapien umstritten … Die Hormonstudien, auf die sie anspielen, basierten auf einem Präparat, das wir überhaupt nicht mehr benutzen. Und sie wurden an Patienten zwischen 55 und 80 Jahren durchgeführt, die eigentlich schon zu alt waren. Die Präparate von damals waren viel zu hoch dosiert und synthetisch. Die heutige Hormontherapie ist eine bioidentische Therapie: Das bedeutet, dass der Körper überhaupt nicht unterscheiden kann, ob das Präparat aus dem Eierstock kommt oder aus der Apotheke, daher hat diese Therapie so wenige Nebenwirkungen. Die beste Zeit, um mit einer modernen Hormontherapie zu beginnen, liegt so bei Ende vierzig. Je früher man damit anfängt, desto besser kann man die ersten Schwankungen mithilfe von bioidentischen Hormonen ausgleichen. Startet man erst, wenn die Frau beispielsweise schon unter Bluthochdruck oder Diabetes leidet, ist es zu spät.

Gibt es etwas, das man vorbeugend tun kann? Ich würde ab 40 einen Hormonspiegel machen lassen, in einer Zeit, in der man sich wohlfühlt. Dann weiß man, wie der perfekte Hormonspiegel aussehen sollte. Falls man sich später für eine Hormontherapie entscheidet, kennt man die genauen Werte, die man wieder anpeilen sollte, die sehen bei jedem etwas anders aus.
Aber stecken wirklich immer die Hormone hinter den Problemen? Dieser Lebensabschnitt steht ja auch für Umbruch, die Kinder ziehen aus, die Eltern werden hilfsbedürftiger, das bedeutet Stress.  Umso wichtiger ist es, dass man sich einen Hormon-Schutzwall aufbaut, denn: Wenn der schwankt, ist man auch noch total dünnhäutig. Wer nachts nicht gut schläft, viele Probleme hat und depressiv gestimmt ist, kämpft wirklich an allen Fronten. Insofern ist es wichtig, dass die Hormone in Balance sind. In den USA verschreiben die Ärzte viel zu oft Schaftabletten oder Antidepressiva, aber das kann ja wirklich nicht die Lösung sein.

Was sind typische Symptome, die mir sagen: Jetzt geht es los mit dem Wechsel! Hitzewallungen und Schlafstörungen sind auf jeden Fall ein sicheres Indiz. Und, klar, wenn die Periode unregelmäßig oder völlig sporadisch kommt.Was genau passiert da?    Normalerweise steuern die Hormone, die im Gehirn und in den Eierstöcken gebildet werden, den Zyklus: Sie spie-len sich die Bälle zu wie beim Pingpong. Da wir aber mit einer begrenzten Anzahl von Eizellen auf die Welt kommen und die Qualität mit den Jahren immer schlechter wird, fällt der Ball häufiger mal aus. Es kommt zu Schwankungen und das Spiel läuft unrund. Wenn die Eierstöcke ihre Funktion schließlich einstellen, geht auch die Hormonproduktion zurück. Weibliche Geschlechtshormone wie Östrogen oder Progesteron, die bis dahin eine wichtige Rolle im weiblichen Organismus gespielt haben, gehen  dadurch verloren.
Der Körper durchläuft dabei verschiedene Phasen, können Sie die genauer erklären?  
Die Prämenopause ist schwer zu definieren. Das ist die Zeit, in der man noch recht regelmäßig seine Periode bekommt, aber merkt, dass sich etwas verändert. Man nimmt schneller zu, die Blutung ist vielleicht stärker als sonst, die Stimmung gereizter. Man fängt an, mehr Wasser einzulagern. Das kann so Ende dreißig,  Anfang vierzig beginnen. Dann gibt es die Perimenopause, die eigentlich ein Synonym für Wechseljahre ist. Das sind die Jahre, in denen einfach alles anfängt sich zu verändern. Jetzt beginnen die Hormonschwankungen und man weiß nie, was der nächste Tag so bringt. Wenn sich die Periode ein Jahr lang nicht blicken lässt, spricht man von Menopause: Es ist quasi die allerletzte Regelblutung und die kann man erst nach zwölf Monaten definieren. Die Zeit danach ist die Postmenopause. Viele Frauen leiden in dieser Zeit unter Beschwerden wie Haarausfall, Trockenheit der Haut und Schleimhäute oder brüchigen Knochen.
Das klingt nicht gerade sehr aufbauend. Gibt es auch etwas Positives über die Wechseljahre zu berichten?  Ich finde, es ist eine wunderbare Zeit! Mit Mitte vierzig hören wir auf, uns Sorgen darüber zu machen, ob uns alle mögen. Wir wollen es nicht mehr allen recht machen und fangen an, unsere eigenen Wünsche in den Vordergrund zu stellen. Wir fühlen uns frei und selbstsicher, ziehen klare Grenzen und sagen: „Das will ich. Und das will ich nicht mehr.“ Auf der anderen Seite haben wir durch den schwankenden Testosteron-Level häufig auch eine sehr gesunde und robuste Libido. Was ja auch eine gute Nachricht ist.

Stimmt es, dass man seine Mutter fragen soll, unter welchen Beschwerden sie
in den Wechseljahren litt  – weil die genetisch vererbt werden?  Mir sind dazu keine Forschungsergebnisse bekannt. Ich vermute aber, dass die meisten Mütter sowieso antworten würden: „War alles bestens.“ Das ist die Generation, die darüber nicht gerne spricht. Die lieber sagt: „Kenne ich nicht, ist mir nie passiert.“ Wenn ich meine Mutter frage, sagt sie auch, dass sie überhaupt keine Probleme mit den Wechseljahren hatte. Dafür wurde sie in dieser Zeit zu einem Drachen. (lacht)

Warum sind die Wechseljahre immer noch so ein Tabuthema?  Vielleicht kann man das gesellschaftlich erklären: Früher ging es für die Frau in erster Linie darum, einen Versorger zu finden. Ihre eigene Rolle war so definiert, dass sie dem Mann den Rücken freihalten, sich um den Haushalt kümmern und natürlich auch Kinder auf die Welt bringen soll. Die Wechseljahre stellen diesen Zweck plötzlich infrage, weil die Frau ihre Karten im Prinzip schon ausgespielt hat. Diese Angst, gegen eine jüngere Konkurrentin ausgetauscht zu werden, ist auch heute noch bei vielen im Kopf verankert.

Genau wie das Klischee von der Frau, die nach den Wechseljahren anfängt zu töpfern, zu stricken oder Seidenschals zu bemalen …    Noch vor hundert Jahren hatte eine Frau eine Lebenserwartung von 50 bis 60 Jahren. Da war sie mit 40 Jahren wirklich schon steinalt. Aber das gilt nicht mehr für uns. Schauen Sie sich doch um, es gibt so viele tolle Frauen um die fünfzig, Julia Roberts, Nicole Kidman. Die bringt man ja auch nicht mit Stricken in Verbindung. Das Bild hat sich einfach gewaltig geändert. Deswegen ist es mir wichtig, jede Frau zu sagen: Hey, du braucht keine Angst vor den Wechseljahren zu haben! Deine Beschwerden kannst du in den Griff kriegen und alles andere kannst du nur willkommen heißen! Außerdem kannst du auch noch mit achtzig Sex haben. Und wenn du willst, auch mit einem jüngeren Mann. Unsere Menopause ist nicht die unserer Mütter. Es wird Zeit, die Menopause ins 21. Jahrhundert zu befördern!

Ist man nach den Wechseljahren eine andere Frau?   Man verwandelt sich zurück in das Mädchen, das man war, bevor man in die Pubertät kam. Das ja das Coole! All
diese Fragen, die einen jahrelang beschäftigt haben wie „Wer bin ich?“ oder „Bin ich gut genug? lösen sich in Luft auf. Und man stellt fest:  So wie ich bin, bin ich richtig super!

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