Das sollten Sie wissen

 

Happy senior woman looking at daughterWas tun, wenn auch Alltägliches alleine nicht mehr zu schaffen ist, weil Krankheit,
Verletzung oder Alter die Bewegungsfreiheit rauben? Wie Sie die optimale
Hilfe finden – und worauf Sie achten sollten.                        
Text: Elisabeth Schneyder

Durst.
Der Becher steht auf dem Nachttisch, kaum eine Armlänge entfernt. Trotzdem zu weit für Anton. Ein Schlaganfall hat den großen, zuvor agilen Mittsechziger gelähmt. Ans Bett gefesselt. So sehr die Kehle auch brennt: Anton sieht den Becher – kann ihn aber nicht greifen.

Hunger.
Im Kühlschrank ist noch Butter. Sonst nichts mehr. Der Supermarkt an der nächsten Ecke hätte alles, wonach sich Magda sehnt. Die 86-Jährige hat immer gern gekocht. Familie und Freunde schwärmten von ihrer Küchen-Kunst. Vergangenheit. Mit Gelenksschmerzen, Geh- und Sehbehinderung gelingt kein Einkauf. Und wer zwischen Bett und Tisch den Rollstuhl braucht, kann nicht mehr am Herd stehen.

Trauer.
Die Sonne scheint in den Innenhof. Vom Fenster aus kann man sie sehen. Vor ein paar Jahren hat Melanie den Heimweg nach der Arbeit an solchen Tagen immer sehr genossen. Hat gern die Wärme auf der Haut gespürt. Seit Multiple Sklerose ihr die Bewegungsfreiheit raubt, ist die 55-Jährige jedoch auf Hilfe angewiesen, wenn sie das Haus verlassen will. Auf einfühlsame Hilfe. Denn jede falsche Berührung kann schlimme Krämpfe auslösen. Ebenso wie jeder kleine Stein, der den Rollstuhl holpern lässt.

Drei Beispiele, die umschreiben, was viele plagt. In Österreich leben rund 1,7 Millionen Menschen mit Behinderung, zirka eine Million mit eingeschränkter Mobilität, um die 50.000 Rollstuhlfahrer, etwa 300.000 von starker Seh- und 200.000 von gravierender Hörbehinderung Betroffene sowie um die 200.000 psychisch oder neurologisch Beeinträchtigte.
Zwar braucht nicht jeder Unterstützung und oft genügt auch Assistenz in alltäglichen Dingen. Im engsten Sinn pflegebedürftig sind aktuell rund 460.000 Österreicher. Allerdings werden es immer mehr. Vor allem auch, weil der Anstieg der Lebenserwartung zugleich eine Zunahme chronischer Erkrankungen mit sich bringt, wie Alternsforscherin Helena Schmidt, Leiterin der „Graz Study on Health and Aging“, betont: „Wir leben immer länger, altern jedoch unverändert schnell.“ Die Chance eines 80-jährigen Menschen, seinen 100sten Geburtstag zu erleben, ist heute um das 20-Fache größer als noch vor 50 Jahren. Bis 2050 soll es zehn Mal so viele 100-jährige Österreicher geben wie heute. Werden trotz intensiver Forschung keine tauglichen Präventions-Strategien gefunden, ist künftig also mit deutlich mehr Pflegebedarf durch altersassoziierte Leiden zu rechnen.

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Für eine optimale Pflege sollte die Chemie zwischen Pflegebedürftigem und Betreuer stimmen.

Individuelle Pflegebedürfnisse
Ob Alter, Krankheit oder Unfall: Die Bedürfnisse jener, die Hilfe brauchen, sind so unterschiedlich wie die Menschen. 80 Prozent der Pflegebedürftigen werden hierzulande von Angehörigen daheim versorgt, die dabei nicht selten an ihre Grenzen stoßen. Ohne Pflegefachkräfte, die ihr täglich beistehen, könnte Antons Frau den Gatten nicht versorgen. Auch Magdas Töchter sind froh über die Heimhilfe, die den Haushalt der Mutter am Laufen hält. Niemand verlässt leichthin das eigene Zuhause, um in eine betreute Einrichtung zu übersiedeln. Und längst nicht jeder, der im Alltag Hilfe benötigt, braucht „Pflege“ im engeren Sinn: Oft reichen stundenweise Unterstützung durch Heimhilfen oder andere soziale Dienste durchaus, um die gewohnte Lebensführung aufrechtzuerhalten.
Ein Umstand, dem Österreichs soziale Dienste (die in die Kompetenz der Länder fallen) gerecht zu werden versuchen. Die Palette reicht dabei von umfassender 24-Stunden-Pflege und mobilen oder ambulanten Angeboten wie Heimhilfen, Hauskrankenpflege und „Essen auf Rädern“ bis zu Alltagsbegleitungs- und Entlastungsdiensten wie etwa der „persönlichen Assistenz“, die den Klienten dabei helfen, weiterhin so selbstbestimmt wie möglich zu leben.

Hilfe für Pflegebedürftige
Die Suche nach der optimalen Hilfe kann allerdings verwirrend sein: Unzählige private Anbieter und Organisationen werben im Internet, mit Annoncen, Flyern und Broschüren für ihre Leistungen – und immer wieder zeigen Tests und Medienberichte, dass hier nicht alles Gold ist, was zu glänzen vorgibt. Doch in Service-Listen wie jenen des Sozialministeriums oder der Entlassungsmanagements der Spitäler finden sich Ansprechpartner, die bei Vermittlung und Finanzierung von anerkannten und geprüften Betreuungsleistungen unterstützen. In der Bundeshauptstadt ist dies etwa der Fonds Soziales Wien (FSW, www.fsw.at), zu dessen Partnern unter anderem Caritas, Volkshilfe oder Hilfswerk zählen. FSW-Kundenberaterin Sabrina Jamnig, diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin, früher selbst als Case-Managerin tätig, rät: „Man sollte sich alle Optionen anschauen, Info-Nummern anrufen, sich gut beraten lassen, Details erfragen und dann eine Entscheidung treffen, die alle Familienmitglieder teilen.“
Case-Manager wie jene des FSW besprechen und beurteilen bei Hausbesuchen, was im konkreten Fall nottut, beraten und stehen auch später allzeit mit Rat und Tat zur Seite. Denn auch wenn die Wahl eines Anbieters getroffen ist, ist oft noch nicht alles perfekt, berichtet Jamnig aus der Praxis: „Oft sind es finanzielle Sorgen, die unsere Klienten plagen. Und bei den Anrufen am Kundentelefon geht es vor allem um neue Interessenten, die Betreuung suchen, oder um bestehende Kunden, die mehr oder andere Leistungen möchten oder den Umzug in eine betreute Einrichtung überlegen.“ Mitunter sind auch die Betreuer persönlich ein Thema: „Stimmt die Chemie nicht, versuchen wir der Sache auf den Grund zu gehen und zu vermitteln. Manchmal muss aber auch ein Organisationswechsel sein.“

Nurse Explaining Something On Laptop To Senior Man

Gespräche sind ebenso wichtig wie das Pflegehandwerk, um eine angenehme Atmosphäre zu schaffen.

Chemie muss stimmen
Die Chemie zwischen dem, der Hilfe braucht, und dem, der sie konkret leistet, ist ein wichtiger Punkt im Spannungsfeld um Pflege und Betreuung. „Ich bin ja kein Auto, das man irgendwo zum Service bringt, egal wer dann dort Hand anlegt“, betont etwa MS-Patientin Melanie, die nach einigem Hin und Her mit ihren persönlichen Assistenten glücklich ist. Wie recht sie hat, bestätigt Psychiaterin Dr. Elisabeth Lenzinger, die selbst langjährige Erfahrung mit 24-Stunden-Pflege einer nahen Verwandten hat: „Diplome sind oft weniger wichtig als Einfühlungsvermögen und Hausverstand. Es gilt, auf den zu pflegenden Menschen zu hören. Hat man schon beim ersten Treffen den Eindruck, dass die Betreuungskraft dies nicht schafft, ist es vermutlich besser, weiterzusuchen.“ Natürlich sei auch die Phase des Kennenlernens mitunter schwierig. So ist es zum Beispiel Seniorinnen oft peinlich, sich von einem jungen Mann beim Waschen helfen zu lassen – oder für einen betagten Mann, wenn eine 20-Jährige ihm in die Unterhosen hilft. Allerdings, so Lenzinger: „Versteht man sich sonst gut, gibt sich die Peinlichkeit rasch. Gespräche sind hier ebenso essenziell wie das Pflegehandwerk an sich.“

Unsicherheit und Angst
Ein Thema, das vor allem im Alter schwierig werden kann, wenn Demenzerkrankung oder schlicht Unsicherheit und Angst Pflegepersonen misstrauisch und bitter machen. Was die geh- und hörbehinderte Magda plagt, ist, dass sie häufig übergangen wird, als wäre sie gar nicht präsent, obwohl ihr 86-jähriger Intellekt frisch ist wie eh und je: „Man wird ängstlich, wenn man immer wieder das Gefühl bekommt, anderen nur noch eine Last zu sein.“ Der angehende psychologische Berater Andreas Gorbach aus Vorarlberg hat bei seiner Ausbildung erlebt, was Magda meint: „Wenn man sich einmal mit die Sicht einschränkenden Brillen, Ohr­stöpseln, Stock und Gewichten in eine Situation gebracht hat, die jener eines alten Menschen entspricht, kann man das nachvollziehen.“

Alter ist keine Krankheit
Bis nach dem eigenen 50er als Werber tätig, beschloss Gorbach, sich zum Berater und Begleiter betagter und hochbetagter Menschen und ihrer Angehörigen ausbilden zu lassen: „Es macht mehr Sinn, für Menschen da zu sein als für Projekte.
Achtsamkeit spielt da eine ungeheure Rolle. Nicht nur jene für sich selbst, die man braucht, um den täglichen Umgang mit Krankheit und Endlichkeit zu meistern, sondern vor allem für die betreuten Menschen. Ihre Ängste oder ihren Zorn bloß locker als ,Demenz‘ abzutun, macht für niemanden Sinn. Sieht jemand einen großen schwarzen Vogel, dann ist dieser für diesen Menschen wirklich da – mit allen physischen und hormonellen Folgen, die seine Angst auslöst. Zu sagen, das wäre nicht real, ist falsch.
Alter ist keine Krankheit.“

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