Demenz

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Demenz ist eine Volkskrankheit. Und auf dem besten Weg zur Epidemie. Eine Heilung ist – noch – nicht möglich. Prävention aber sehr wohl. Text: Sebastian Hofer

demenzEs beginnt ganz harmlos.
Man kann sich an den Namen eines guten Freundes nicht mehr erinnern, verlegt den Autoschlüssel, tut sich schwer mit kleinen Kopfrechnungen. Das kann jedem einmal passieren. Manchen passiert es aber öfter und immer wieder, und die Fehler werden immer gravierender. Dann ist es vorbei mit der Harmlosigkeit. Denn dann handelt es sich unter Umständen um Demenz. Im Durchschnitt dauert das Leiden fünf bis sieben Jahre. Manchmal dauert es zwei Jahrzehnte. Eines ist immer gleich: Am Ende hat man alles verloren: Sein Gedächtnis, seine Persönlichkeit, die Kontrolle über Geist und Körper. Und zum Schluss: sein Leben. Demenz ist eine ernste klinische Diagnose. Und sie ist eine, die uns alle angeht. Denn sie betrifft nicht nur die Erkrankten, sondern auch ihr Umfeld und reißt dieses nicht selten tief mit hinein in den Strudel von Krankheit, Verzweiflung, Tod. Demenz ist eine Volkskrankheit. Und auf dem besten Weg zur Epidemie.

Zahl der Neuerkrankungen: stetig steigend!
Die Statistik zeigt das ganze Ausmaß des Problems. Seit dem Jahr 1960 hat sich die Zahl der Demenzkranken in Österreich auf derzeit rund 100.000 Personen verdoppelt. Bis zum Jahr 2050 wird sie das Dreifache betragen. Dann werden Schätzungen zufolge bis zu 75.000 Menschen pro Jahr neu erkranken, das Verhältnis zwischen Erwerbstätigen und Demenzkranken wird bei 17:1 liegen (aktuell beträgt es 50:1). Das hat natürlich auch demografische Gründe: Die Lebenserwartung steigt, und mit ihr die Demenzerwartung: Demenz betrifft fast ausschließlich Über-65-Jährige. Bei den Über-90-Jährigen ist schon jeder Dritte betroffen. Im Jahr 2050 wird in Österreich mehr als ein Drittel der Bevölkerung über 60 Jahre alt sein.

„Ich habe mich verloren“
Demenz ist übrigens ein klinischer Terminus, der als Überbegriff für verschiedene Demenz-Ursachen steht. Demenz wird aber auch fälschlicherweise mit einem anderen Namen gleichgesetzt: Alzheimer. Schließlich gibt es auch regressive Demenzformen. Zwischen 60 und 80 Prozent aller Demenzkranken leiden an einer Form der Alzheimer-Krankheit. Benannt wurde diese nach dem deutschen Nervenarzt Alois Alzheimer, dem am 26. November 1901 in der Frankfurter Anstalt für Irre und Epileptiker die Eisenbahnergattin Auguste Deter, 51, vorgestellt wurde. Deter war verwirrt und orientierungslos, immer wieder murmelte sie: „Ich habe mich sozusagen verloren“. Es entspann sich ein berühmt gewordener Dialog zwischen Arzt und Patientin: „Wie heißen Sie? Auguste. Familienname? Auguste. Wie heißt Ihr Mann? Ich glaube Auguste.“ Nach Deters Tod seziert Alzheimer ihr Gehirn, findet „hirsekorngroße Herdchen“ und referiert auf einem Fachkongress wenig später „über eine eigenartige Erkrankung der Hirnrinde.“

Vorteil: Präventionsfenster
Die genauen Ursachen dieser eigenartigen Erkrankung sind bis heute, mehr als hundert Jahre später, nicht abschließend erklärt. Forscher gehen von einer Mischung aus erb­licher Veranlagung, Lebensstil und Umwelteinflüssen aus, die zu einer krankhaften Bildung von Eiweißplaques und Neurofibrillenbündeln im Gehirn führen, die die Funktion der Nervenzellen stören und diese in weiterer Folge absterben lassen. Der Psychiater und Neurologe Prof. Dr. Peter Dal-Bianco, Leiter der Ambulanz für Gedächtnisstörungen und Demenzerkrankungen am Wiener AKH, erläutert den typischen Krankheitsverlauf: „Die Weichen in Richtung Alzheimer werden bereits rund um das 30. Lebensjahr gestellt. In diesem Alter kommt es zu den ersten neuropathologischen Veränderungen. Bis klinische Symptome auftreten, dauert es meist weitere 25 bis 30 Jahre. Das hat einen Vorteil: Es eröffnet sich ein ziemlich weites Präventionsfenster, in dem wir Faktoren, die das Fortschreiten der Erkrankung beeinflussen, behandeln können.“ Zu diesen Alzheimer-Treibern gehören unter anderem Bluthochdruck, Übergewicht, Bewegungsmangel oder Depression (siehe Tabelle 2 „Risikofaktoren“).

Wie ein Spitzenvorhang
So eindeutig manche Symptome sind, so schwer ist es zu beschreiben, wie sich Alzheimer anfühlt. Der texanische Psychologieprofessor Richard Taylor, der seit über zehn
Jahren mit einer Demenz-Diagnose lebt, beschreibt es so: „Es ist ein Gefühl, als säße ich im Wohnzimmer meiner Großmutter. Ich betrachte die Straße draußen durch die Spitzenvorhänge. Die Vorhänge haben Muster mit dicken Knoten, die mir die Sicht versperren. Manchmal bewegen sich die Vorhänge im Luftzug, und ich sehe wieder etwas, und dann schwingt die Gardine zurück, und ich bin wieder abgetrennt von meinen Erinnerungen.“ Der österreichische Schriftsteller Arno Geiger, der die Alzheimerkrankheit seines Vaters in dem Buch Der alte König in seinem Exil beschreibt, findet einen anderen Vergleich: „Ich stelle mir Demenz in der mittleren Phase, in der sich mein Vater momentan befindet, ungefähr so vor: Als wäre man aus dem Schlaf gerissen, man weiß nicht, wo man ist, die Dinge kreisen um einen her, Länder, Jahre, Menschen. Man versucht sich zu orientieren, aber es gelingt nicht.“

Demenz nicht mit normaler Vergesslichkeit verwechseln
Wenn die ersten Symptome bemerkt werden, hat die Krankheit schon jahrelang gewütet, unerkannt, und schon weite Teile des Neuronen­­­-Netzes irreversibel geschädigt. Die Therapie kann nach derzeitigem Stand auch bei einer frühen Diagnose das Fortschreiten der Krankheit höchstens hinauszögern, nicht aber verhindern, und allenfalls Symptome behandeln. Alzheimer ist, noch, unheilbar. Das macht Angst. Angst, die in mehrfacher Hinsicht kontraproduktiv ist. Viele Betroffene fürchten sich vor der Diagnose „Demenz“ und verleugnen oder kompensieren ihre Mankos, bis es nicht mehr geht. Im Durchschnitt dauert es zwei Jahre vom Auftreten der ersten kognitiven Defizite bis zu einer klinischen Diagnose. Auf der anderen Seite entwickeln aber auch viele Menschen eine geradezu paranoide Furcht vor der Krankheit und verwechseln alltägliche, alters- oder stressbedingte Vergesslichkeit mit Demenz. Dabei sind gelegentliche Vergesslichkeit oder andere vorübergehende Fehlleistungen keine Symptome für Demenz. Krankhaft wird es erst, wenn die mangelnde Gehirnleistung dauerhaft auch alltägliche Verrichtungen verunmöglicht. Das amerikanische National Institute on Aging hat eine Liste mit sieben Warnzeichen veröffentlicht, die eine Früherkennung von Alzheimer erleichtern sollten (siehe Tabelle 1 „Früherkennung“). Peter Dal-Bianco schlägt einen einfachen Selbsttest vor, der das persönliche Demenzrisiko einschätzen helfen soll. Für eine medizinische Abklärung und Differenzialdiagnose bleibt der Besuch bei Haus- und Facharzt jedoch unerlässlich.

Beste Prävention: Lesen! Musizieren! Tanzen!
Für präventive Maßnahmen braucht es dagegen keinen Mediziner. Zu diesen gehört neben der Vermeidung der genannten Risikofaktoren in erster Linie ein gesunder Lebenswandel: Durch körperliche Betätigung, geistige Aktivität und eine gesunde, ausgewogene Ernährung (min­destens zwei Mal pro Woche frischen Fisch, viel Obst und Gemüse, insbesondere Blattsalate) kann das Demenzrisiko verringert werden. Unter den üblichen Freizeitbeschäftigungen haben sich übrigens die folgenden als besonders effektiv erwiesen: Brettspiele, Musizieren, Kreuzworträtsellösen und Lesen, beziehungsweise unter den körperlichen Aktivitäten: Tanzen, Wandern und Schwimmen. Der entscheidende Risikofaktor für das Auftreten von Demenzerkrankungen ist und bleibt aber das Alter. Solange kein Heilmittel gegen Alzheimer gefunden wird (es laufen groß angelegte internationale Forschungsbemühungen), müssen wir wohl oder übel mit dieser Tatsache leben lernen. Demenz ist immer tragisch, muss aber nicht zwangsläufig in die Katastrophe führen. Information hilft. Gegen die Angst, gegen die Hilflosigkeit und damit letztlich auch gegen die Krankheit.

Reise in den Sonnenuntergang
„Ich beginne nun die Reise, die mich zum Sonnenuntergang meines Lebens führt“, schrieb der ehemalige US-Präsident Ronald Reagan 1994 in einem Brief an seine Mitbürger, in dem er seine Alzheimer-Erkankung öffentlich machte. Millionen Menschen haben diese Reise noch vor sich. Niemand sollte sie unvorbereitet antreten. Und niemand sollte sich allein auf den Weg machen müssen.

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Prof. Dr. Peter Dal-Bianco ist Facharzt für Neurologie und Psychiatrie und leitet die Spezial­ambulanz für Gedächtnisstörungen an der Universitätsklinik für Neurologie, MUW, am Wiener AKH. Er entwickelte den Fragebogen „Braincheck 50“ (B50), mit dem man selbst seine geistige Frische testen kann. Sein allgemeiner Rat, um Demenz vorzubeugen: „Seien Sie neugierig!“

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Früherkennung

Sieben Warnsignale:

1. Jemand stellt immer wieder die gleiche Frage.
2. Jemand wiederholt immer wieder dieselbe Geschichte.
3. Jemand hat Probleme mit alltäglichen Tätigkeiten wie Kochen,
Kartenspielen oder der Bedienung des TV-Geräts.
4. Jemand verliert den sicheren Umgang mit Geld, monatlichen
Rechnungen, Überweisungen.
5. Jemand verlegt Gegenstände oder versteckt sie unbewusst an
ungewöhnlichen Orten und schiebt die Schuld auf andere.
6. Jemand vernachlässigt sein Äußeres und verleugnet dies
gegenüber anderen.
7. Jemand beantwortet Fragen, indem er dieselbe Frage wiederholt.
Quelle: National Institute on Aging

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Adressen

Alzheimer Angehörige Austria
Selbsthilfegruppe für Angehörige von Alzheimer-Kranken. Beratung, Seminare, „Alzheimer-
Cafés“ als zwanglose Treffpunkte für Patienten und Angehörige. Auf der Homepage: zahlreiche Kontaktadressen zu Beratungsstellen in ganz Österreich. www.alzheimer-selbsthilfe.at,
Tel.: 01/332 51 66

Pflegetelefon
Kostenlose 24-Stunden-Beratungshotline des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz. Tel.: 0800/20 16 22

Gerontopsychiatrisches
Zentrum des Psychosozialen Diensts Wien Ambulante Beratung, Diagnostik, weiterführende Untersuchung, Beratung auch für Angehörige. Sechsschimmelgasse 21, 1090 Wien,
Tel.: 01/310 00 16 (Mo–Fr, 9–15 Uhr)

Spezialambulanz für Gedächtnisstörungen, AKH Wien
Diagnostik, Beratung, Memory Clinic. AKH, Währinger Gürtel, 1090 Wien, Leitstelle 6A,
Terminvereinbarung unter Tel.: 01/40 400-3124, www. med­uniwien.ac.at/neurologie

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Risikofaktoren

Erhöhtes Demenzrisiko im Vergleich zu gesunden/nicht betroffenen Menschen, in Prozent

Depression: 90 %
Bewegungsmangel: 80 %
Zigarettenkonsum: 80 %
Übergewicht: 80 %
Bluthochdruck: 60 %
Geringe Ausbildung: 60 %
Diabetes: 40 %
Quelle: Prof. Dr. Peter Dal-Bianco

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