Rheuma

„Bloss nicht den Helden spielen“

Rheuma haben nicht nur ältere Menschen. Bis zu 40 Prozent der österreichischen Bevölkerung sind zu irgendeinem Zeitpunkt in ihrem Leben davon betroffen. Prof. Josef Smolen im Gespräch über die Volksleiden Arthritis, Arthrose und Osteoporose. Text: Astrid Kuffner

knochenmaxiWas haben alle rheumatischen Erkrankungen gemeinsam?
Prof. Josef Smolen: Die Schmerzen im Stütz- und Bewegungsapparat. Der Bogen spannt sich von nicht so gravierend bis lebensbedrohlich, von Muskelverspannungen bis zu Erkrankungen der inneren Organe. Rheumatismus kann in den Weichteilen auftreten, an Gelenken und an der Wirbelsäule. Je nach Lehrbuch werden 200 bis 400 verschiedene Rheumatismusformen unterschieden. Nach den Ursachen unterscheiden wir abnützungs- und entzündungsbedingte.

Mit Rheuma assoziiert man gemeinhin Alter und Gebrechtlichkeit …
Das ist ein weitverbreiteter Irrtum. Bis zu 40 Prozent der Bevölkerung sind zu irgendeinem Zeitpunkt ihres Lebens davon betroffen. Jenseits des 70. Lebensjahres haben allerdings 20 bis 30 Prozent chronische Leiden. Es gibt aber auch sechs Monate alte Kinder mit entzündlichem Rheumatismus mit möglichen verheerenden Folgen. Rheuma, auch und vor allem entzündliches Rheuma, kann zu jedem Zeitpunkt des Lebens auftreten. Entscheidend ist die rasche Abklärung der Symptome: Wenn ein Schmerz im Bewegungs- und Stützapparat ohne benennbaren Auslöser auftritt und einige Tage anhält, sollte sich das ein Facharzt ansehen, der Weg etwa in eine Rheumaambulanz beschritten werden. Der Schmerz kann dabei plötzlich auftreten oder sich langsam aufbauen und einschleichen.

Was passiert bei einem Rheumatologen?
Der Praktische Arzt als Anlaufstelle schreibt die Überweisung, wenn nötig. Die Differenzialdiagnose braucht einen Facharzt. Aus der Art und Weise, wie Sie gehen und sich bewegen, kann ein Rheumatologe erste Schlüsse ziehen. Eine ausführliche Befragung mit Analyse der Krankheitsgeschichte und eine Untersuchung der Gelenke und Weichteile gehören dazu. Laborbefunde und bildgebende Verfahren können die Anamnese abrunden. Schauen, sprechen und untersuchen ist unsere Domäne. Erfahrung und eine gesonderte Ausbildung ist in diesem Bereich wichtig: Bildgebende Verfahren sind heute oft so empfindlich, dass daraus alleine in unerfahrener Hand oft Verwechslungen entstehen, Fehlalarm geschlagen wird. Ein Befund ist kaum je mit einer Dia­gnose gleichzusetzen – weder ein Laborbefund noch ein Bild; eine Diagnose kommt erst aus der Gesamtschau zustande – und damit die richtige Therapie.

Wie kann die Prävention bei so verschiedenen rheumatischen Erkrankungen aussehen?
Es gibt Primärprävention und – genauso wichtig – Sekundärprävention. Wenn ich das Gewicht halte und mir nicht beim Skifahren oder Fußballspielen das Knie mehrfach verletzt habe, wird das als Primärprävention gut für meine Gelenke, vor allem die Kniegelenke sein. Alle glauben, dass rheumatische Erkrankungen lediglich ein bisserl Schmerzen verursachen. Hierzulande sind dann alle gerne Indianer. Das halte ich aus, da brauche ich nichts. Sie merken oft nicht, wie ihnen der Schmerz das Leben vergällt. Rheumatische Erkrankungen sind aber oft alles andere als harmlos. Bei der chronischen Polyarthritis, die durch eine permanente Entzündung bedingt ist, treten viele Folgeerkrankungen auf, die mit einer Verringerung der Lebenserwartung einhergehen. Wenn die Entzündung gut behandelt wird, ist das nicht nur gut für die Arthritis. Mit dieser Sekundärprävention kann ich bis zu zehn Jahre Lebenserwartung gewinnen.

Kann ich mit einer vorsorgenden Untersuchung schon vor Symptomen das Risiko für eine rheumatische Erkrankung abschätzen?
Es gibt derzeit keinen vernünftigen Test zur Vorhersage einer bestimmten rheumatischen Erkrankung. Wir haben am AKH momentan eine wissenschaftliche Studie laufen. Wir testen das Blut von Menschen, die zur Gesundenuntersuchung gehen, auf zwei für die chronische Polyarthritis typische Antikörper. Wir wissen, dass diese beiden einige Jahre vor der Erkrankung im Blut nachweisbar sind. Was wir nicht wissen, ist, ob nur bei jenen, die tatsächlich erkranken. Die Gefahr im Sinne der Vorsorge ist ja, dass ich etwas überbewerte. Wenn aber 50 % der Menschen mit diesen Antikörpern im Blut binnen fünf Jahren eine ausgewachsene Polyarthritis bekommen, dann könnte man eine Empfehlung aussprechen, das breit zu testen und eine präventive Therapie zu beginnen. Das zeichnet sich aber bisher nicht ab. Einen Hinweis auf eine andere Krankheit, nämlich eine Gicht, kann ein erhöhter Harnsäurespiegel geben. Diesen kann man ab dem 50. Lebensjahr im Rahmen der Gesundenuntersuchung testen lassen.

Wenn ich also mit meinen Schmerzen nicht den Helden spiele und beim Rheumatologen eine einschlägige Diagnose bekomme: Wie hoch stehen die Chancen, dass sich meine Lage ver­bessert?
Bei den Schmerzen auf jeden Fall – dagegen gibt es Dutzende Schmerzmittel. Aber vor allem für die entzündlichen Erkrankungen wurde eine Fülle neuer Medikamente und neuer Zugänge ent­wickelt. Durch diese neuen Therapieansätze sehe ich viele schlimme Folgen heute nicht mehr, die während meiner Ausbildung noch häufig waren. Autoimmun­reaktionen sind in dem Sinn nicht verhinderbar, aber behandelbar. Zur Arthrose tragen wir unser Scherflein bei: Durch Übergewicht und Fehlbelastung der Gelenke. Schlechtes Schuhwerk, Sportverletzungen, Laufen auf Betonboden, da tun wir uns selbst immer wieder kleine Traumen an. Der Knorpel scheint einem vieles lange zu verzeihen, aber irgendwann kommt er mit der Regeneration nicht mehr nach. Am wichtigsten für die Prävention ist es, die Beinmuskulatur durch Bewegung und mit isometrischen Kraftübungen zu trainieren. Manches ist ganz einfach. Eine eiserne Regel lautet: Treppauf immer gehen und treppab – wenn möglich – fahren. Täglich abwechselnd 30 Sekunden auf einem Bein stehen. Radfahren und Schwimmen ist schonend für die Gelenke. Bettlägerigkeit lässt die Muskulatur in kürzester Zeit verarmen. Besonders im Alter werden aus bisher unbekannten Gründen die Muskeln stark abgebaut. Ich möchte dennoch nochmals ausdrücklich erwähnen, dass Rheuma nicht a priori ein Altersleiden ist, auch nicht Rücken- oder Kreuzschmerzen. Der entzündliche Rückenschmerz, der nach drei bis sechs Wochen nicht verschwindet und auch in der Nacht auftritt, sollte die Leute zum Arzt treiben. Es dauert nämlich oft Jahre, bis ein derartiger Morbus Bechterew erkannt wird. Da kann man heute vieles unternehmen. Gerade Rückenschmerzen werden hierzulande oft bagatellisiert. Wesentlich ist auch die regelmäßige, der Vorschreibung entsprechende Medikation. Jeder versteht, dass Diabetiker Insulin spritzen und Menschen mit hohem Blutdruck regelmäßig ihre Pulver nehmen müssen. Beim Schmerz sagen die Menschen oft: „Das müssen wir aushalten“. Das ist kein guter Zugang, denn Schmerz ist ein Warnsignal des Körpers. Bei der Behandlung entzündlicher Krankheiten erleben wir es immer wieder, dass Patienten, wenn es wieder gut geht, die Therapie absetzen. Sie kommen dann mit frischen Schüben wieder, die dann leider oft nicht mehr gut behandelbar sind.

Welche Möglichkeiten habe ich bei Abnutzungserscheinungen am Knorpel?
Wenn es für eine Operation noch zu früh ist, aber dennoch Schmerzen und Bewegungseinschränkungen bestehen, empfehle ich gezielte Gelenkschutzmaßnahmen. Das reicht von Gelenkschienen – insbesondere bei anstrengender Tätigkeit – bis zu Bewegungsübungen. Dabei lernen wir unsere Gelenke bestimmungsgemäß zu verwenden. Den Schlüssel im Schloss zu drehen oder Brot zu schneiden. So wie wir das täglich tun, ist es ganz schlecht für das Handgelenk. Wir nehmen das Messer in die Hand, verbiegen dabei das Handgelenk und dann wird mit Druck gesäbelt. Stumpfes Messer, hartes Brot, ungeheure Belastungen. Wer im Handgelenk Probleme hat, sollte in ein offenes Fuchsschwanzmesser investieren, das wie eine solche Säge gehalten wird. Training beim Ergotherapeuten, Schmerzmittel, Griffhilfen & Co erleichtern einem das Leben.

Gibt es geschlechtsspezifische Risikofaktoren?
Klimt zeigt in seinem Gemälde „Die drei Lebensalter“ die Risikogruppe: eine alte Frau mit einem durch osteoporotische Wirbeleinbrüche bedingten Buckel – diese Frau ist schlank, zart. Für grazile Frauen, etwa mit 1,75 Metern bei 60 Kilogramm, und Raucherinnen ist eine Knochendichtemessung nach der Menopause besonders sinnvoll. Aber alle Frauen sollten auf einen ausgeglichenen Kalzium- und Vitamin-D-Haushalt achten und auf ausreichend Bewegung – schon vor, aber auf jeden Fall ab der Menopause. Der tägliche Kalziumbedarf kann mit 100 Gramm Hartkäse gedeckt werden. Bewegung baut den Knochen auf und führt dadurch zu Kalziumeinlagerung. Wer länger bettlägerig ist, muss aufpassen: Der Knochen wird dabei massiv abgebaut. Daher auch im höheren Lebensalter: möglichst heraus aus dem Bett. Wir haben heute das Privileg, älter zu werden – und wir sollten alles dafür tun, das auch genießen zu können. Und das tun wir mit Bewegung und Kräftigungsübungen. Was übrigens kaum bekannt ist: Die Sterblichkeit bei Osteoporose ist bei Frauen genauso hoch wie die bei Brustkrebs.

Was kann ich mit Ernährung überhaupt bewirken?
Bei Gicht sollte die Aufnahme von Purinen vermindert werden. Diese sind vor allem in Fleisch, ganz besonders Innereien, einigen Fischarten wie Sardinen, aber auch in Bier enthalten. Bei Übergewicht gilt es die Kalorienzahl durch Reduktionkost zu vermindern.

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Prof. Dr. Josef Smolen ist Rheumatologe und Leiter der Abteilung Rheumatologie am Wiener AKH. Zudem sitzt er im Vorstand des Rheumatologischen Instituts am Krankenhaus Hietzing.

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Rheumatische Erkrankungen

… sind alle Erkrankungen des Bewegungs- und Stützapparates. Die großen drei sind Arthrose, Arthritis & Osteoporose. Sie werden nach ihren Ursachen unterschieden.

Arthrose ist der Schwund von Knorpelgewebe durch Abnutzung, Verletzungen und Fehlbelastung der Gelenke. Entzündliche Formen werden als Arthritis zusammengefasst und können durch Infektionen ausgelöst werden, aber auch als Autoimmunerkrankung auftreten.
Bei Osteoporose werden die Knochen porös. Zumeist sind Frauen betroffen, wobei es mehrere Risikofaktoren gibt. Beschwerden in Muskeln, Sehnen oder Sehnenansätzen (Weichteilrheumatismus) sind häufig und können bei allen diesen Krankheiten, aber auch selbstständig auftreten.

Häufige Rheumaformen:

Chronische Polyarthritis an den Fingern, in der Regel sind die untersten und mittleren Fingergelenke betroffen, betrifft Frauen häufiger.
Morbus Bechterew / Spondylitis ankylosans nennt man die chronisch entzündliche Erkrankung der Wirbelsäulengelenke. Die ersten Symptome treten meist im jungen Erwachsenenalter (20–25 Jahre) auf, in fünf Prozent der Fälle liegt der Erkrankungsbeginn nach dem 40. Lebensjahr.
Gicht betrifft die Gelenke und ist eine stoffwechselbedingte Erkrankung, die in Schüben verläuft und (bei unzureichender Behandlung) durch
Ablagerungen langfristig die Niere schädigt.

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Typische Risikofaktoren

Arthrose der Kniegelenke < Übergewicht
Gicht < Purinreiche Kost
Osteoporose < Rauchen, graziler Körperbau, lange Cortison­behandlung; betrifft Frauen
häufiger
Endzündliche Rheumatismen < betrifft Frauen häufiger, kleine Traumen durch Sportverletzungen, PC-Arbeit, extreme sportliche Aktivität
Arthrose < Kleine Traumen durch Sportverletzungen, PC-Arbeit, extreme sportliche Aktivität

Entzündliche Rheumatismen betreffen Frauen häufiger. Bei Arthrose der Finger, Kollagenosen und Schuppenflechten-Arthritis liegen bei den Erkrankten evtl. Erbkomponenten vor. Rheumatische Erkrankungen sind aber keine Erbkrankheiten.

Tipps zur Vorsorge

Bei länger anhaltenden Schmerzen und Auftreten von teigig-weichen Schwellungen der
Gelenke rasch abklären lassen! Bewegung und schonenden Sport machen: Isometrische Kraftübungen, mit dem Rad fahren, schwimmen oder turnen tut gut. Im höheren Alter Muskelkraft erhalten und das Körpergewicht halten. Nach der Menopause: Knochendichtemessung, wenn in der Risikogruppe, und auf ausreichend Vitamin D und Kalziumzufuhr achten.

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