“Lust ist wichtig!”

Gewisse Bereiche der Vorsorge unterliegen der Eigenverantwortung – um alles andere kümmert sich Österreichs Gesundheitsminister Alois Stöger. Und zwar gerne, wie er im Gespräch erzählt.   Interview: Nicole Spilker

stoegerHerr Minister Stöger, warum ist es so wichtig, in Gesundheitsförderung und Prävention zu investieren?
Wichtig in der Gesundheitspolitik ist natürlich, Krankheiten zu verhindern. EinGrund für Krankheiten ist ein krankmachender Lebensstil. Eines unserer Anliegen ist es daher, eine sichere Gesellschaft zu entwickeln. Wir wissen, dass Menschen, die Angst haben – weil sie etwa arbeitslos sind oder beruflich stark überfordert –, krankheitsanfälliger sind. Wir wollen Stabilität signa-lisieren. Politik hat viele Möglich­keiten, Einfluss auf gesunde   Lebensbedingungen zu nehmen. Ich habe deshalb eine Gesundheitsziele-Diskussion gestartet, damit wir in allen Bereichen des öffentlichen Lebens darüber sprechen, was die Gemeinschaft gesünder macht. Konkret gesagt: Bis zum Jahr 2020 wollen wir, dass die gesunden Lebensjahre um zwei Jahre steigen. Dafür wurden mehr als 35 Institutionen des öffentlichen Lebens eingeladen, Ziele, die auch messbar umzusetzen sind, zu entwickeln.

Ein Beispiel dafür wäre?
Wenn Sie mich hier im Gesundheitsministerium besuchen, werden Sie die Treppe, die ja Alltagsbewegung symbolisiert, nicht so leicht finden. Sie haben bestimmt auch den Aufzug genommen, oder? Die Bauordnung hätte also die Chance, einen Beitrag zu Alltagsbewegung zu leisten. Ein anderes Beispiel: Wenn in einem Wohnhaus das Fahrrad im hintersten Keller abgestellt werden muss, wird es bestimmt nicht sehr häufig benutzt. Besser wäre es, den Fahrradraum gleich neben der Haustür zu bauen. Sie sehen, es gibt viele gesellschaftliche Themenbereiche, die in diesen laufenden Prozess einfließen können und müssen.

Und wenn es um direkte gesundheitliche Nachhaltigkeit geht?
Man muss bei Kindern und Jugendlichen Interventionen setzen. Kleinigkeiten können oft eine große Wirkung haben. Es gibt zum Beispiel einen klaren Zusammenhang zwischen Bildungsstatus und Gesundheit. Höher Gebildete habe eine bessere Chance, gesund zu bleiben als Personen, die einen schwierigen Zugang zu Bildung haben. Das hat viele Gründe, und hier spielt etwa auch die Frage hinein, wie ich überhaupt Informationen über mein eigenes Gesundheitsverhalten generiere. Auch das ist mein Thema.

Wie erreichen Sie die Kinder? Direkt oder über die Eltern?
Man muss im gesamten Lebensbereich wirken. Es ist immer ein Zusammenspiel aus Kindern, Eltern, Institutionen und Organisationen. Je besser alle zusammenspielen, desto nachhaltiger funktioniert das. Eines meiner Hauptthemen ist etwa Ernährung. Wir haben die Wissenschaft eingeladen, mit uns zu diskutieren und daraufhin die Ernährungs-Pyramide erstellt – übrigens erstmals in Österreich mit einheitlichen Botschaften und unabhängig von der Industrie!

Warum ist Ernährung so ein wichtiges Thema bei Kindern?
Jeder vierte Jugendliche in Österreich ist übergewichtig und nimmt zu viel Nahrung zu sich im Vergleich dazu, was er mit Bewegung wieder abarbeitet. Man kann dem nur entgegenwirken, in dem man in den Bereichen, wo Kinder und Jugendliche leben, etwas verändert. Wir setzen da unter anderem schon sehr früh an: Das Geschmacksverhalten der Kinder wird bereits in
der Schwangerschaft geprägt. Deshalb bieten wir über die Gebietskrankenkassen, die ja den Kontakt zu den werdenden Müttern haben, eine Ernährungsberatung an. Viele Frauen essen in ihrer Schwangerschaft sehr bewusst. Zudem haben wir genau analysiert, wie sich Kinder ernähren. Zum Beispiel kommt ein Drittel der Kinder ohne Jause in die Schule und ist auf das Schulbuffet angewiesen. Bei Kindern kommt man nicht mit dem erhobenen Zeige­finger weiter, also muss man woanders ansetzen. Wir haben unsere Ernährungsfachleute mit den Schulbuffet-Betreibern sprechen lassen, denn eigentlich wollen diese ihren jungen Kunden auch etwas Gutes tun, nur dass das Know-how fehlt.

Warum verbieten Sie nicht einfach Softdrinks und schlechtes Essen an den öffentlichen Schulen?
Weil das bei Jugendlichen nicht funktioniert. Dann kommt die Lust des Verbotenen ins Spiel. Viel wichtiger ist, dass man eine gute Auswahl hat. Wir schicken deshalb unsere Fachleute, die
mit den Buffet-Betreibern einen nachhaltigen Ernährungsplan umsetzen. Auch da sind es manchmal nur Kleinigkeiten, die helfen, etwa dass die überzuckerten Säfte hinter und nicht vor den Mineralwasserflaschen stehen und dass es viel mehr Wasser gibt als Limonaden.

Ernährung an sich ist ja eine sehr persönliche Sache. Wo liegen die Grenzen der Politik, sich einzumischen? Und wo muss sie den Bürger schützen?
Bürgerinnen und Bürger sollen die Chance haben, zu erkennen, was gut ist. Wenn ich nicht weiß, wie viel Kalorien, Fett oder Zucker in einem Lebensmittel enthalten sind, kann ich das vom Bürger auch nicht erwarten. Deshalb haben wir zum Beispiel die verpflichtende Nährwerttabelle in Europa durchgesetzt. Und zwar in einer Schriftgröße, die auch lesbar ist. Eine weitere Sache ist, dass manche Lebensmittel so verarbeitet sind, dass man ihre Inhaltsstoffe gar nicht mehr erkennen kann. Niemand würde ins Getränk eines Kindes 17 Zuckerwürfel werfen. Einen Softdrink darf es aber sehr wohl trinken. Auch da gibt es eine Verantwortung, übrigens auch von Seiten der Industrie. Die wird sich sicher auch ändern, wenn sie künftig den Zuckergehalt angeben muss. Ebenso kann man den Salz­gehalt von
Lebensmitteln reduzieren, um Herzerkrankungen zurückzufahren. Und weil das meiste Salz mit Brot aufgenommen wird, sind wir zur Bäckerinnung gegangen und uns mit ihr einig geworden, dass alle Bäcker schrittweise mit weniger Salz backen – das hilft allen und fällt der Bevölkerung noch nicht einmal auf. Das ist für mich wichtige Gesundheitspolitik.

Ärgert es Sie, dass es in Österreich ein so tolles Vorsorgeangebot gibt, es aber nicht jeder nutzt?
So würde ich das nicht sagen. Ich freue mich eher darüber, dass wir den WHO-Standard in der Zahngesundheit erreicht und es geschafft haben, die Zahnprophylaxe von Kindern zu verbessern. Nicht, weil wir mehr Ärtze beschäftigen, sondern weil wir Kindern und Eltern beigebracht haben, wie man sich die Zähne richtig putzt.

Nun wissen Kinder also, wie man putzt, aber wieso ist es nicht möglich, dass Erwachsene ein Mal im Jahr die Zahnprophylaxe bezahlt bekommen?
Es gibt Leistungen, die müssen kollektiv finanziert werden und andere individuell. Mein Vater würde es beispielsweise gut finden, wenn man ihm den Saunagang bezahlen würde, weil es ihm so guttut. Andere sagen, der Langsamlauftreff ist das Beste, was man für die Gesundheit tun kann. Ich denke, dass gewisse Teile der Gesundheitsvorsorge schon auch eine Angelegenheit des Menschen an sich sind. Man darf hier das Kollektiv nicht überfordern. Ob es die vordringlichste Maßnahme ist, die Zahnprophylaxe voll als Kassenleistung zu bezahlen – da bin ich mir selbst noch nicht ganz sicher.

Haben Sie manchmal das Gefühl, Ihr Ministerium ist ein kleiner Spaßverderber? Schließlich schmeckt der Schweinsbraten ja doch ganz gut …
Ganz im Gegenteil! Lust ist ganz wichtig im Leben. Ich will kein Lebensmittel ver­teufeln, die Frage ist nur, wie oft und in welcher Menge man es isst.

Ist Ihnen mit Eintritt in Ihr Amt eigentlich noch ein Laster geblieben?
Ich habe keine Laster (lacht). Wenn ich aber in einer Konditorei bin, kann es schon sein, dass ich mehr von den Süßspeisen esse, als es mein Ernährungsplan zulässt. Wichtig ist, dass man den kritischen Blick darauf hat.

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Alois Stöger ist in Linz geboren und seit Dezember 2008 österreichischer Bundesminister für Gesundheit (SPÖ). Einer seiner politischen Schwerpunkte ist Ernährung und gesundes Essen. Seit 2011 setzt er dazu den „Nationalen Aktionsplan Ernährung” mit Maßnahmen zur Verbesserung der Essgewohnheiten um.

 

 

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